„Dialoge zwischen leichtem Tuschbild und schwerer Stahlskulptur“

Thomas Röthel und Hai Yan Waldmann-Wang

 

2014 Galerie Fritz Winter Atelier bei München & 2015 Galerie in der Trinkkuranlage Kunstverein Bad Nauheim


In der modernen Kunst in Deutschland ist die „abstrakte Kunst “ ein Schlüsselwort. Die Entwicklung der deutschen Gegenwartskunst umfasst Kultur und Geschichte. Wassily Kandinsky, Willi Baumeister, Fritz Winter und andere sind  einige  Hauptfiguren  der abstrakten Kunst. Der Inhalt ihres Schaffens, ihrer Theorie und Praxis, waren mit  künstlerischer Lebenserfahrung und Schicksal eng  verknüpft. Ab Anfang der 1930er Jahre des letzten Jahrhunderts  wurden sie als „entartet“ angeklagt, ihre Ausstellungen verboten. Einige Künstler sind zum Wehrdienst eingezogen worden, sie erlebten als Zeugen und Opfer den   grausamen Krieg. Diese Erfahrungen beeinflussen die Entwicklung abstrakter Kunst in Europa sehr stark. Die politische  Entwicklung, neue  philosophische Gedanken und  das Wirtschaftswunder schufen eine neue Herausforderung. 

 

Fritz Winter, 1905 geboren, studierte bei Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer am Bauhaus (Weimar und Berlin). Während der  Nazi-Zeit  wurde er wie viele andere gezwungen, seine Karriere zu beenden. In seiner  Münchener Zeit besuchte er auch Ernst Ludwig Kirchner, einen der wichtigsten Künstler des Expressionismus. Seine kleinen abstrakten Bilder aus dieser Zeit, dunkel und melancholisch, zeigen die typischen Merkmale der Ära der Depression.  Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er aus einem sowjetischen  Kriegsgefangenenlager nach Deutschland zurück.  Er beteiligt sich an zahlreichen Ausstellungen und gewann namhafte Kunstpreise. Als Professor unterrichtete  er an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Kassel.  

 

1955 fand die erste deutsche „Documenta“ in Kassel statt. Eine riesige abstrakte Arbeit von Fritz Winter wurde gegenüber einem großen Werk von Pablo  Picassos „Mirror Girl" (Mädchen vor einem Spiegel)  platziert. Die Absicht war offenbar,   Künstler aus Kassel mit den  wichtigsten Repräsentanten  zu dessen Kunst zu konfrontieren. Durch die Perspektive der modernen Meister reproduzierte  Kern historische Werke um die Anerkennung der deutschen Kunst, das Moderne zu erreichen. Diese Art der Kunstförderung und eine  neue, moderne  Entwicklung in Deutschland hat eine weitreichende Bedeutung. Derzeit  gilt die „Galerie Fritz Winter Atelier“ bei München  als eine der renommiertesten Kunstinstitute   in Deutschland und wird vom Nachfolger  Fritz Winter geführt. 

 

2014 veranstaltete die Galerie eine Ausstellung für den Bildhauer Thomas Röthel, -   ich wurde mit meinen neuen Tuschearbeiten dazu eingeladen. Der Hauptton der Ausstellung ist schwarz und weiß. Sie  ist sehr gut zu Geltung gekommen, die Ausstellungsexponaten in den historischen und kulturellen Bauhausstil des   Gebäudes zu kombinieren.  Die Eigenartigkeit des künstlerischen Dialogs: Erstellung von Materialien mit unterschiedlichen, einzigartigen  Ost- und Westausdrucksformen,  an der Wand Tuschemalerei auf Innen- und Außenstahlskulpturen. Obwohl beide Künstler mit ihrem Kunstmaterial ihren eigenem Stil und in bester Form arbeiten, korrespondiert die Auffassung von Fritz Winter über den Sinn von Licht und ästhetischen Raumblicken.

 

Moderne Stahlskulpturen wurden  von der Industrie, der Wissenschaft und Technologie beeinflusst.  Moderner Architekturstil und Umwelt fördern in der Kunst den Trend zu vereinfachter Form. Künstler sind nur stark inspiriert von der Geschwindigkeit der Maschinen, sowie von Kraft und Effizienz visueller Faktoren. Mit Thomas Röthels Stahlskulpturen einen Dialog zu führen, versuche ich mit  der Tusche Maltechnik, nicht Gegenständliches abzumalen und mit Linie und Fläche, spezifische Ziele auszudrücken, um im Betrachter eigene Vorstellung und Gedanken anzuregen.   Es verpflichtet mich nach mehr als 20 Jahren im Kunstschaffen von Deutschland einen  abstrakten eigenen Stil zu versuchen, nur mit  Tusche und chinesischem Naturpapier mich der  abstrakten Kunst zu widmen.

 

Traditionelles Tuschmaterial, das nicht nur das Geheimnis der chinesischen Kultur und Kunst verbindet, enthält aber auch die Geschichte der Philosophie. Die Reihenfolge der Tuschmalerei, vom hellen Weiß zum Dunklen, um eine  Fläche darzustellen, wie  beispielsweise Gebäudeflächen und Lichtdurchlässigkeit,  ist früher  in diesem Stil selten  versucht worden. Um die Stahlskulptur von Thomas Rödel beeindruckend wirken zu lassen, konzentriere ich mich nicht nur auf seine Ganzheit der Skulptur, sondern auch auf die, die in verschiedenen Räumen und Parkanlagen  ausgestellt sind,  mit chinesischem Malelementen und Stil auf Papier auszudrücken. Diese Interpretation und der Dialog zwischen abstrakter Stahlskulptur und Tuschmalerei erreichen einen harmonischen ähnlichen Effekt.  Das heißt, Kunst ist Kommunikation ohne Sprachbarriere. Chinesische Tuschmalerei mit eigenem Charakter weiter zu entwickeln, erreicht auch eine moderne und weltoffene Kunst.

 

2015 bot die Galerie in der Trinkkuranlage in Bad Nauheim bei Frankfurt/Main die zweite Doppelausstellung an. Zur Eröffnung der Ausstellung beschreibt Prof. Johannes Peter Holzinger, Meisterschullehrer von Thomas Röthel, ein bekannter Künstler und Architekt, folgende Bemerkungen über diese Ausstellung: „Wir wissen um die vielfältigen Aspekte von Kunst der gegenständlichen, abbildenden oder erzählenden Kunst, der abstrakten, vom Gegenstand gelösten Kunst mit ihrem unerschöpflichen Assoziationsspektrum. Wir wissen um den Raum Wert der Farbe. Wir wissen um den Stimmungswert der Farben und auch um die Interaktion der Farben - um die Farbbeeinflussung. Thomas Röthel hat jedoch für diese Ausstellung, als Kontrapunkt, die schwarzen, nicht farbigen Bilder und die Vergrößerung deren Details von Hai Yan Waldmann-Wang ausgesucht. Sie stehen einerseits als grafische Schwarz-Weiß-Arbeiten komplementär zu den Volumen seiner Stahlskulpturen und sind andererseits in ihren aufgebrochenen Strukturen und Schraffuren ähnlich den Oberflächen des Stahls. So gibt es vielfältige Arbeitsweisen, die vielfältig interpretierbar sind, wie die Kunst je nach den Vorkenntnissen und Erfahrungen des Betrachters interpretierbar bleibt. 

 

Zum Verständnis des Raumbegriffs in ihren Bildern schauen wir zurück: Nach der Renaissance bis in die Romantik mit ihren illusionären Tiefenräumen, galt in der Moderne die Leinwand als die „wahre“ Fläche, von der die Komposition von der mittleren Ebene, der Leinwand ausging. Die Scheinräumlichkeit zu überwinden und die Fläche der Leinwand zu halten, war ein Ziel unter anderen in den abstrakten „Scheibenbildern“ von Ernst Wilhelm Nay oder auch in der Farbfeldmalerei von Georg Karl Pfahler. In den Vordergrund drängende warme Farbtöne wurden von Überlagerungen kalter Farbflächen zurückgedrängt und umgekehrt. 

 

Wir sehen in einer frühen Arbeit von Frau Waldmann-Wang, einem Blütenarrangement in der traditionellen Pinselmalerei, wie Räumlichkeit durch die Überlagerung von  einzelnen Motiven erreicht wird.

Zum Verständnis des Raumbegriffs in ihren Bildern schauen wir zurück: In den späteren abstrakten, schwarzen Bildern wird dieses Prinzip fortgeführt. Räumlichkeit und Zwischenraum entsteht durch die Überlagerung der mit dem Tuschepinsel, bzw. der Feder gesetzten Flächen und dem Richtungswechsel der Texturen. Doch scheint hier der Bezug auf eine mittlere Bildebene als die zu bewahrende „wahre“ Fläche keine Rolle mehr zu spielen, sondern diese zum Teil miteinander verbundenen Flächen scheinen nahezu in einem freien Raum zu schweben.

In anderen Schwarzbildern mit den zu Figurationen dicht geschichteten  Flächen lassen Raumdurchbrüche eine nicht definierte Tiefe eines endlosen Raumes erahnen.  

Diesen Eindruck eines neuen Raumgefühls des Endlosen, das sicher auch durch die Raumfahrt ausgelöst wurde, gewinnt man noch mehr bei der Betrachtung der aus der Vergrößerung von Details gewonnenen großen Bildwerke. Durch das Aufbrechen der Textur der schwarzen Flächen werden diese zu transparenten Strukturen im endlosen Raum und entsprechen einem heutigen Raumbegriff.

 

Thomas Röthel absolvierte eine Ausbildung als Holzschnitzer, doch Oberammergauer Figuren waren nicht sein Ziel. Sein Interesse galt dem urbanen Raum und so wird er mein erster Schüler, dann Meisterschüler in meiner 1991 neu gegründeten Klasse „Kunst und öffentlicher Raum“ an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg.

Heute ist Thomas Röthel meines Wissens nach der Stahlbildhauer in Deutschland, der die größten Volumen beherrscht. (Zurzeit stehen mehr als 100 Tonnen Stahlskulpturen in Ausstellungen).

Im Jahr 2000 baute sich  Thomas Röthel eine Esse bei seinem Atelier in Mitteldachstetten. Dort glüht er den Stahl auf 1150 Grad und verformt ihn mit schwerem Gerät.

 

Während zeitgenössische Stahlbildhauer wie der Engländer Anthony Caro aus unbearbeiteten Industrieteilen, aus Rohren, Tafeln, Winkeleisen etc. seine Skulpturen zusammensetzt, oder der heute wohl bekannteste Stahlbildhauer Richard Serra seine auch unbearbeiteten Stahltafeln zu Räumen aneinander lehnt oder gekrümmt zu dynamischen Räumen zusammenstellt, gehen die Entscheidungen von Thomas Röthel eine wechselseitige Beziehung zu dem Materialverhalten des Stahls ein: 

Thomas Röthel  trifft im Falle der großen Biegung die Entscheidung von zwei versetzt gegenüberliegenden Schnitten und das glühende Material formt während des Biegevorgangs die Details selbst aus: Im Innenkern des Stahls entsteht ein geringerer Zug gegenüber dem längeren Biegeweg im Außenbereich, der entsprechend nachgibt und die wunderschönen Kantenformen ausbildet, die man kaum erfinden kann.

 

 

Dieses Konzept der Interaktion halte ich deshalb in der Kunst für weiterführend weil es als ein bildnerisches Analogon stehen kann für das gesellschaftliche Miteinander, in dem das Diktat Einzelner über Andere keine Zukunft hat. Doch da die Kunst als eine der letzten Bastionen der Freiheit für jeden auch frei interpretierbar bleibt, ist es jetzt an Ihnen, sich Ihr Bild zu machen.“ (Zitat Professor Johannes Peter Hölzinger). 

 

 

          Hai Yan Waldmann-Wang